Neue Beiträge zur historischen Anthropologie der europäischen Völker
Nachdruck der Ausgabe von 1886, ca. 182 Seiten, Armanen Verlag
Nachdruck der Ausgabe von 1886, ca. 182 Seiten, Armanen Verlag
von Karl Penka
Vom Mythos des
"Arischen Volksstammes", S. Scholz 1994
1. Der Ahnenmythos
Der blonde, blauäugige
Arier, angesiedelt in Nordeuropa, überlegen und ausgestattet mit genetischer
Reinheit der Rasse, war das Produkt vieler intellektueller Einflüsse, von denen
die Gründung der Indogermanistischen Sprachwissenschaft nur einer war. Leon
Poliakov hat aufgezeigt, daß die Wurzeln zu solch einer Karikatur weit in die
Vergangenheit zurückreicht und allgemein fast allen europäischen Völkern zu
Eigen ist in ihrem Bestreben nach möglichst illustren und großartigen Urahnen.
Die Römer suchten ihre Vorfahren in Troja, die mittelalterliche Aristokratie
Spaniens legten auf überlegenes Visigotisches Blut wert, das sie sowohl von
ihren Untertanen absetzte als auch sie über diese stellte. Die Franzosen
verfallen in chronische Schizophrenie, wenn sie sich entscheiden sollen, ob sie
in der Linie des Vercingetorix und seiner Gallier (Kelten) stehen, oder aber in
der Karl des Großen (Charlemagne) und der Franken (Germanen). Manche Engländer,
die mit ihrer Mixtur aus Britonischen, Angel-Sächsischen, Wikingischen und
Normannischen Vorfahren scheinbar nicht zufrieden waren, fanden es gar
notwendig, einen verloren gegangenen Stamm Israels an ihre Küsten zu
verschlagen um sich noch älterer und religiös bedeutenderer Vorväter zu
versichern. Die Deutschen nun sahen die Wurzeln ihrer eigenen Geschichte in den
Veränderungen durch die Völkerwanderungen, die eben diese illustren Vorväter
ihrer Nachbarn hervorbrachten. Wenn Tacitus schon erwähnte, die Germanen seien
"reinen Blutes", unvermischt mit anderen Rassen und (deshalb)
autochton, gab es wenig Grund, daran zu zweifeln, daß ihr Ursprung in
Nordeuropa lag. Als die Kirche eine biblische Verbindung benötigte, konnte
Ashkenaz, ein Enkel Japhets, gefunden werden, der den Weg nach Nordeuropa fand
und die Germanen auch in diesem Rahmen etablierte. Gerade während der
Reformation konnte man damit auch stolz darauf sein, sich von der degenerierten
und korrupten Welt Roms abzusetzen. Im 18. und 19. Jh., durch den industriellen
und intellektuellen Aufstieg der "germanisch"sprachigen Länder
unterstützt, wuchs der Glaube an die germanische Autochtonie und die Stärke der
Nordischen Völker. Dieser Glaube wurde unterstützt durch verschiedenste
Forschungsergebnisse, sowohl im anthropologischen Rahmen wie auch in der
vergleichenden Sprachwissenschaft [1]. Mit dem Aufstieg der Anthropologie fiel
die Konzeption der Rassentheorie zusammen. Westliche Gelehrte konnten, als sie
einmal die verschiedenen menschlichen Rassen als Theorem isoliert hatten, der
Versuchung nicht widerstehen, ihre eigene, damals "Kaukasische", über
die anderen zu plazieren. "Rasse" wurde schnell mit ethnischer
Gruppe, Nation und Sprache verwechselt oder gleichgesetzt. Die Geschichte wurde
reduziert auf eine Anzahl von Rassen, die jeweils eine Zeitlang die Macht
hatten, um sie dann an eine stärkere, "energiereichere" zu verlieren.
Darwins Evolutionstheorie wurde kräftigst missverständlich auf alles
übertragen, was sich irgendwie zu "entwickeln" schien, seien es
Rassen, Nationen, Ethnien oder gar soziale oder wirtschaftliche Verhältnisse.
Die geschäftigen Häfen Englands, Hollands, Deutschlands und Skandinaviens, oder
auch die intellektuellen Salons in London, Berlin, Paris oder Wien ließen
keinen Zweifel, wo die energischere Rasse angesiedelt ist. Die Anthropologie
teilte die Rassen durch äußere Merkmale auf in hochstirnige,
"dolichocephalische" Rassen des Nordens und niedrigstirnige,
"brachycephalische" des Südens, und machte die Überlegenheit der
nordischen Rasse "messbar". Damit war der blauäugige, blonde Urahn
nicht nur eine romantische Idee, ab dem Ende des 19. Jh. konnte man
"wissenschaftlich bestätigt" auf einen überlegenen, edlen Vorfahren
zurückblicken, der "echte" ethnische Identität verlieh.
2. Die Entdeckung der
"Arier"
Die Entdeckung der
Indoeuropäischen Sprachfamilie bewirkte mehr als lediglich die historischen
Verbindungen zwischen vielen Europäischen und Asiatischen Sprachen zu erhellen.
Sie beendete ein für alle mal die Vorstellung, daß das Hebräische die menschliche
Ursprache sei, und letztendlich die der Abstammung von (einem) Adam. Folglich
suchten die westlichen Gelehrten auf den Spuren indischer und iranischer
Überlieferung ihre eigenen, illustreren Vorväter in Zentralasien, Persien und
Indien. Indoeuropäische Forschung begann schon im frühen 19. Jh. und es
geschah, dass Max Müller und andere Indogermanisten das Wort "Arisch"
benutzten, um die alten Indoeuropäer zu beschreiben. Selbstverständlich mussten
diese frühen Arier, wenn sie die Vorfahren der Europäer sein sollten, zur
überlegenen weißen Rasse gehören. Die frühe Linguistik machte nun noch den
Fehler, die sprachliche Einteilung der Sprachen in analytische, agglutinierende
und flektierende evolutorisch zu deuten und gar zu werten - so standen auch
hier wieder die Arier, also Indoeuropäer, über anderen Rassen, da sie die
Sprache, schon lange vor allen anderen, auf die angeblich höchste evolutorische
Stufe entwickelt hatten. Canon Isaac Taylor vertrat einmal die Meinung, die
Indoeuropäer seien eine "weiterentwickelte finnische Rasse" [2]. Doch
selbst mit der Vereinigung überlegener Physiologie, Sprache und Kultur unter
dem Namen "Arier" und deren Zurechnung zur weißen Rasse, fehlte doch
noch die Festlegung der Urheimat nach Nordeuropa. Bis jetzt schrieb man den Ariern
noch den Hindu Kusch oder den Himalaya zu, jedoch schon 1870 argumentierte
Lazarus Geiger, daß eben weil der Arier blond und hellhäutig sei, dessen
Urheimat Mitteleuropa, Deutschland, gewesen sein müsse. Der Mann aber, der die
Idee der Ansiedlung der Arier in Mittel-, bzw. Nordeuropa im großen Rahmen
verbreitete, war Theodor Poesche. Er suchte die Urheimat u.a. anhand der
Häufigkeit des Albinismus (!), und so hatten die Arier eine Heimat in den
Sumpfgebieten Osteuropas gefunden. Eine lebensfeindliche Gegend als Urheimat
einer Rasse, die überlebensfähiger sei als alle anderen - Karl Penka befand das
1883 als schlüssig. Allerdings verlegte er dann doch die Arier mit Hilfe aller
möglichen wissenschaftlicher Disziplinen nach Skandinavien und ließ in seinen
schon sehr polemischen Arbeiten keinen Zweifel, daß dort und nur dort die
Arische Urheimat liegen mußte. Penkas Arbeiten wurden trotz aller Polemik
weithin akzeptiert, und selbst bekannte Anthropologen wie Rudolf Virchow und
Thomas Huxley stimmten damit überein, die Arier seien eine Rasse "blonder
Dolichocephalen". Der große Indologe Max Müller, von dieser von ihm selbst
mit verursachten Entwicklung angewidert, beschimpfte Anthropologen, die von
"Arischer Rasse, Arischem Blut, Arischen Augen und Haaren" sprachen,
als Wirrköpfe, vergleichbar mit Linguisten, die von "dolichocephalischem
Wortschatz oder brachycephalischer Grammatik" sprechen würden - ist
"Arisch" für ihn doch nur die Bezeichnung für eine Sprachfamilie
gewesen, die nichts mit den diese sprechenden Völkern zu tun hätten, die es so
nicht einmal gegeben habe. Aber es war schon zu spät. Die Überlegenheit einer
Arisch- Nordischen Rasse hatte sich schon in den Köpfen zu vieler Akademiker
festgesetzt und die Laien gaben sich mit Halbbildung zufrieden, konnten sie
sich doch auf wahrliche Supervorfahren berufen.
3. Der zweite Weltkrieg
und die Konsequenzen
In Deutschland ließ man
bis zum Ende des Krieges nur eine europäische Urheimat gelten, die
Auseinandersetzung beschränkte sich nur auf die Frage, ob Nordeuropa [3] oder
eine Steppengegend, wie sie Osteuropa böte [4] anzusetzen sei. Aber auch im
Ausland wurde eine europäische Urheimat favorisiert, nur ein paar wenige
setzten die Indoeuropäer nach Asien. Die Verwechslung einer linguistischen
Bezeichnung mit anthropologischen, politisch- ideologischen und romantisierten
Inhalten blieb weitestgehend unverändert. Der zweite Weltkrieg und seine
Ergebnisse erst zwang die akademischen Kreise zu einem Umdenken, die
politischen Auswirkungen unwissenschaftlichen Arbeitens wurden offensichtlich.
Der Mythos der arischen Überlegenheit, in anthropologischen Veröffentlichungen stärker als in linguistischen, war, verschieden ausgeprägt, ein weit verbreitetes Phänomen bis die Konsequenzen auf politischer Seite ihn in der akademischen Welt (endlich) zum Anathema machten. Der linguistische Terminus der "arischen Sprachfamilie", von den Nazis noch am Schwersten belastet und missbraucht, war nicht mehr tragbar, der Stand der Forschung sieht "Arisch" nur noch im Zusammenhang mit dem Iranischen und dessen Vorstufen, die "Indo-Arier" gelten als Vorläufer u.a. der Perser, die "genetische Reinheit" wurde ebenso in das Reich des Mythos verbannt. Yiddisch ist genauso indoeuropäisch wie jeder andere germanische Dialekt, und die romanischen Zigeuner haben eine weit größere sprachliche Nähe zum "Arischen" als jede Nordeuropäische Sprache.
Das von der Archäologie übernommene "Baum- Ast"- Entwicklungsprinzip wurde verworfen zugunsten einer Entwicklungstheorie der "überlappenden Grenzen" und der Einsicht, daß alle einen Sprachraum umgebenden und durchziehenden Einflüsse die Entwicklung einer Sprache verändern, und - vor allem - daß aus einer Sprache zwar kulturelle, jedoch schwer anthropologische Schlüsse gezogen werden können. Das zeigen auch die großen Fortschritte, die die indogermanistische Sprachwissenschaft gemacht hat, seit sie auf eine sachliche und wissenschaftliche Ebene gefunden hat.
Der Mythos der arischen Überlegenheit, in anthropologischen Veröffentlichungen stärker als in linguistischen, war, verschieden ausgeprägt, ein weit verbreitetes Phänomen bis die Konsequenzen auf politischer Seite ihn in der akademischen Welt (endlich) zum Anathema machten. Der linguistische Terminus der "arischen Sprachfamilie", von den Nazis noch am Schwersten belastet und missbraucht, war nicht mehr tragbar, der Stand der Forschung sieht "Arisch" nur noch im Zusammenhang mit dem Iranischen und dessen Vorstufen, die "Indo-Arier" gelten als Vorläufer u.a. der Perser, die "genetische Reinheit" wurde ebenso in das Reich des Mythos verbannt. Yiddisch ist genauso indoeuropäisch wie jeder andere germanische Dialekt, und die romanischen Zigeuner haben eine weit größere sprachliche Nähe zum "Arischen" als jede Nordeuropäische Sprache.
Das von der Archäologie übernommene "Baum- Ast"- Entwicklungsprinzip wurde verworfen zugunsten einer Entwicklungstheorie der "überlappenden Grenzen" und der Einsicht, daß alle einen Sprachraum umgebenden und durchziehenden Einflüsse die Entwicklung einer Sprache verändern, und - vor allem - daß aus einer Sprache zwar kulturelle, jedoch schwer anthropologische Schlüsse gezogen werden können. Das zeigen auch die großen Fortschritte, die die indogermanistische Sprachwissenschaft gemacht hat, seit sie auf eine sachliche und wissenschaftliche Ebene gefunden hat.
[1] z.B. die
Sprachforschung der Gebr. Grimm o.ä.
[2] Finno-Ugrisch ist
eine agglutinierende Sprache, d.h. an dabei unveränderte Wurzeln werden
eindeutige Suffixe angefügt.
[3] vertreten u.a.
durch den Archäologen Gustav Kossina und seine Anhänger, den Linguisten Hermann
Hirt und viele andere, die jedoch meist nur versuchten, Naziideologie
pseudowissenschaftlich zu "beweisen".
[4] Ulrich von der Vogelweide, Otto Schrader, Sigmund
Feist, Alfons Nehring, Wilhelm Brandenstein, Wilhelm Koppers
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