Als Erdställe werden
künstliche Höhlen bezeichnet, die wir in einem geographischen Gebiet, das sich
von Ungarn über Weinviertel, Waldviertel, Böhmen, Oberösterreich, Bayern,
Frankreich bis Spanien erstreckt. Bei diesen Höhlen, die vorwiegend in
Lößgebieten zu finden sind handelt es sich um unterschiedlich verzweigte
Systeme von zum Teil sehr engen Schliefröhren und Gängen, die zu Kammern
führen, deren Aussehen und Ausgestaltung ebenfalls sehr unterschiedlich ist.
Der Name Erdstall
leitet sich von dem Begriff Ort, Stelle ab (vgl. Burgstall als Ort (Hügel) auf
dem ein festes Haus, eine Burg errichtet wurde) und hat nichts mit dem Stall
für Tiere zu tun
Wir finden Erdställe
unter Häusern, Kirchen, im freien Gelände und Kellern. Die Zugänge sind
meistens versteckt oder schwer zu erkennen, da sie meistens sehr eng und klein
sind. Die Form der Gänge reicht von spitzbogig bis zu flachdeckig und sind bis
zu mehreren Metern lang, jedoch wegen ihrer Enge (manchmal nicht mehr als 35 cm
hoch) oft anstrengend und auf dem Bauch zu befahren (wie bei Höhlenforschern
das Durchkriechen von Höhlen genannt wird).
Die Kammern sind meist
tonnenförmig und kaum mehr als 1,30 m hoch, also zum aufrechten Stehen
ungeeignet. Oft sind aus dem Löß in den Kammern Sitzbänke herausgearbeitet, und
die nur ca. 30 cm hoch sind, also auch eigentlich nicht an einen Gebrauch durch
Menschen erinnern.
Auch eine Datierung ist
schwierig, allerdings kann aufgrund von Inschriften und Scherbenfunden eine
zeitliche Einordnung in das Mittelalter vorgenommen werden.
Das große Rätsel dieser
Erdställe ist, daß man bis heute nicht weiß, aus welchem Grund und für welchen
Zweck diese errichtet wurden.
Es gab bis zum Jahre
2002 eigentlich keine nennenswerten Funde, die auf eine genaue Datierung und
Verwendung schließen lassen. Scherbenfunde sind nur bedingt als Quelle für eine
Datierung der Anlagen verwendbar, da die Erdställe zu allen Zeiten aus den
verschiedensten Gründen aufgesucht und verwendet wurden (spielende Kinder,
etc.) und es wurden aus allen Zeiten Gegenstände in die Anlagen eingebracht.
Insoferne sind Funde kein tauglicher Anhaltspunkt.
Ulrich von der Vogelweide sagte: "Durch einen besonderen
Glücksfall konnte allerdings die Gruppe unserer Freunde, den bayerischen
Erdstallforschern des Arbeitskreises für Erdstallforschung in Roding einen
Erdstall, der seit dem Mittelalter verschlossen war und in den bei Feldarbeiten
ein Traktor eingebrochen ist, freilegen. Mit Unterstützung von Archäologen
konnte durch eine C14-Analyse das Alter eines in einem Bauschacht mit weiterem
Verfüllungsmaterial eingelagerten Holzkohlestückes ziemlich genau bestimmt
werden. Weitere Reste, die mit dem Ende des Erdstalles in Verbindung stehen
dürften, konnten ebenfalls datiert werden. Demnach bestand dieser Erdstall ab
ca. dem Jahre 1025 bis ca.1200. Damit ist eine ungefähre zeitliche Einordnung
dieses Erdstalles gegeben. Allerdings wäre die bloße Übernahme dieses Alters
auf alle Erdställe unzulässig, zumal man annehmen muß, daß die Anlagen in den
großen Verbreitungsgebieten Europas über einen größeren Zeitraum errichtet
wurden. So wie wir auch regional unterschiedliche Bauformen und Charakteristika
finden, so wird es möglicherweise auch sehr unterschiedliche
Verbreitungszeiträume gegeben haben. Doch ab hier fehlen wieder alle Quellen
und Hinweise".
Dementsprechend uneinig
ist die Fachwelt und es stehen sich grundsätzlich zwei Hypothesen für die
Errichtung von Erdställen gegenüber:
Die Annahme, daß
Erdställe Fluchträume oder Verstecke waren. Argument dafür ist, daß die Zugänge
oft gut versteckt lagen und daß Verfolger nur schwer den darin Versteckten
folgen hätten können
Die Deutung als
Kultstätten – für welche Art von Kult auch immer -. Dafür spricht, daß die
Anlagen als Verstecke eigentlich völlig ungeeignet sind, weil sie mehreren
Leuten kaum ausreichend Platz bieten und älteren Menschen, die sich im
Familienverband befanden, keinen Einstieg erlaubt hätten. Man muß sich oft
durch enge Röhren zwängen und mehr oder weniger gelenkig sein, um die Anlagen
befahren zu können keinerlei Entsorgungsmöglichkeit für Fäkalien bei längerem
Aufenthalt geboten hätten über keine zweiten Ausgänge verfügen, was vor allem
im Falle von Brandschatzungen den sicheren Erstickungstod der in den Erdställen
Versteckten bedeutet hätte die Versorgung mit Sauerstoff nicht oder nur über
sog. Dampflöcher (kleine senkrechte Röhren, die aus den Kammern an die
Oberfläche führen) sichergestellt ist. Sogenannte Rundgänge sind ohne
praktische Bedeutung Darüber hinaus finden wir oftmals schön ausgearbeitete,
oft spitzbogige Nischen, die, mit anderen Ornamenten, ans sakrale Räume
erinnern. der Verlauf der engen Röhren ist für die Mitnahme wichtiger Dinge
nicht geeignet. Ein Versteck in einem nahegelegenen Wald wäre als Schutz vor
herannahenden Feinden wesentlich geeigneter, da dort eine Fluchtmöglichkeit
gegeben ist, der Erdstall jedoch kein Entkommen erlaubt (Brandschatzungen) Es
wird u.a. auch die Theorie vertreten, daß die Erdställe eine Art Leergräber für
die Seelen der Verstorbenen sein könnten.
Der längere Aufenthalt
in den Anlagen ist durch abnehmenden Sauerstoffgehalt der Luft und geringen
Luftaustausch schwierig. Mündliche Berichte von Leuten, die in den Jahren des
2.Weltkrieges Erdställe als Verstecke benutzten, belegen die Tatsache, daß die
Verstecktheorie eher anzuzweifeln ist.
In Zeiten der früheren
kriegerischen Ereignisse wäre auch im Falle von Brandschatzungen der Sauerstoff
für die im Erdstall Eingeschlossenen rasch verbraucht und es wäre für etwaige
Angreifer der Einstieg gar nicht erforderlich gewesen.
Die Archäologie hat
Erdställe nie zu einem Forschungsschwerpunkt gemacht, sicher nicht zuletzt auch
wegen der bereits von vorne herein kaum zu lösenden Frage nach dem eigentlichen
Verwendungszweck.
Die heute v.a. aus
Weinkellern zugänglichen Erdstallanlagen sind sicher nur mehr Reste früherer
großer Systeme, die nach und nach der Erweiterung der Keller zum Opfer fielen.
Ein Rückschluß auf das ursprüngliche Aussehen ist demnach kaum möglich.
Die erste systematische
Forschungsarbeit lieferte der Benediktinerpater Lambert Karner (Stift Göttweig,
dann Pfarrer in Gösing (NÖ). Er brachte um die Jahrhundertwende ein prunkvoll
gestaltetes Buch heraus mit dem Titel "Künstliche Höhlen aus alter
Zeit" heraus, in dem er sämtliche ihm damals bekanntgewordenen Erdställe
sehr genau beschreibt. Die in diesem Buch enthaltenen und von ihm erarbeiteten
Höhlenpläne sind äußerst präzise und für die heutige Forschung wichtigste
Quelle.
Andere Heimatforscher
widmeten Erdställen auch mehr oder weniger großes Interesse (Kießling etc.),
allerdings beschränken sich deren Beschreibungen vorwiegend auf bestimmte
Regionen bzw. nur bestimmte Objekte in den Ortschaften ihres Interesses.
Wie überhaupt die
systematische Forschung eigentlich - abgesehen von der Arbeit Lambert Karner´s
- nicht stattfand.
In neuerer Zeit wurde
begonnen, die von Karner beschriebenen Anlagen aufzufinden, eine
Bestandsaufnahme vorzunehmen und die Objekte genau zu vermessen und zu
beschreiben. Dabei zeigte sich, daß die Erdställe, die Karner beschrieb, zu
einem erheblichen Teil nicht mehr existieren, im Zuge der Recherchen konnten
jedoch zahlreiche noch unbekannte Erdstall- anlagen gefunden, vermessen und
dokumentiert werden. Zudem wurde versucht, die betreffenden
Grundstückseigentümer vom historischen Wert der Anlagen zu überzeugen so daß
ein Weiterbestand großteils sichergestellt ist.
Federführend in der
derzeit stattfindenden Erdstallforschung (vorwiegend Niederösterreich) ist die
Höhlenforscherin Edith Bednarik, die um große Detailgenauigkeit beim Erfassen
der Anlagen bemüht ist, um eine gründliche Forschung zu ermöglichen.
Wie sich zeigte,
besteht in der Bevölkerung weitgehend Unverständnis für die Bedeutung dieser
Anlagen und es finden an den allgemein bekannten Anlagen laufend große
Zerstörungen statt. Insoferne werden die Arbeiten der Erdstallforschung nicht
öffentlich publiziert, um die Folgen des allgemeinen Bekanntwerdens zu
vermeiden.
Seit den Arbeiten von
Karner ist ein Großteil der von ihm beschriebenen Objekte durch Straßenbau,
Hausbau und Umwelteinflüsse, aber auch mutwillige Zerstörung abgekommen.
Um so wichtiger ist es,
die noch auffindbaren Anlagen zu dokumentieren und ihren Erhalt
sicherzustellen.
In Österreich wird die
Erdstallforschung von einigen wenigen Leuten betrieben, in Bayern beschäftigt
sich ebenfalls eine kleine Gruppe von Höhlenforschern mit dem Rätsel der
Erdställe. Es finden jährlich gemeinsame Exkursionen - entweder in Bayern, oder
in Österreich - statt. Leider beschränkt sich die Gruppe der aktiven
Erdstallforscher aufgrund der meist sehr engen Anlagen und deren oft sehr
schwierigen Erforschung auf sehr wenige Personen.
Eine fundierte und
verifizierbare Lösung der Frage der Erdställe konnte bis zum heutigen Tag nicht
geliefert werden.
Jene, die sich intensiv
mit der Erdstallforschung befassen, lassen seriöserweise eine schlüssige
Erklärung offen.
Kurioserweise wird
gerade von einigen Autoren ( z.B.. "Mystische Stätten des
Waldviertels" ), die mit großer Wahrscheinlichkeit noch nie selbst in
einem Erdstall waren, immer wieder eine Lösung des Erdstallrätsels behauptet,
allerdings sind diese oft kurios anmutenden Hypothesen frei von jeder
archäologisch oder logisch haltbaren Beweisbarkeit. Trotzdem finden derartige
Bücher im Zuge des Interesses an mystischen Stätten immer wieder Verbreitung.
Franz Kießling, Über
das "Rätsel der Erdställe":
Erdställe (auch
Schrazellöcher genannt):
Unterirdische Gang- und
Kammersysteme
Daß sich allzu beleibte
Personen hiezu nicht eignen, ist begreiflich. Aber auch solche, die Blutandrang
zum Kopfe haben oder herzleidend sind, wäre, wegen möglichen Eintrittes eines
Schlaganfalles, abzuraten, sich in Höhlen zu begeben, die nur kriechend oder
gar schräg nach abwärts liegend zu besichtigen sind. Daher empfiehlt es sich
nicht mehr für Personen höheren Alters, sich in diese häufig auch mit stickiger
Luft erfüllten Räume zu begeben. Auch Personen, die nur über schwaches
Augenlicht verfügen, dürften sich zu genauen wissenschaftlichen Erforschungen
nicht eignen, da das Licht von den dunklen Felswänden sozusagen aufgesogen
wird. Man kann sich auch nur jeweils langsam vorwärts bewegen, wenn man mit dem
Lichte die Wände der Hohlräume gut ableuchten, abmessen und den ganzen Verlauf
(mit Hilfe der Magnetnadel) in das Zeichenblatt eintragen will. Da man hiebei
zum ansehnlichen Teile auf feuchtem Boden hocken oder gar liegen muß, so eignen
sich zu werksamen Erdstallforschungen auch alle jene nicht, die gichtische und
ähnliche Leiden haben.
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