Donnerstag, 28. Mai 2009

Das Rätsel der Erdställe

Als Erdställe werden künstliche Höhlen bezeichnet, die wir in einem geographischen Gebiet, das sich von Ungarn über Weinviertel, Waldviertel, Böhmen, Oberösterreich, Bayern, Frankreich bis Spanien erstreckt. Bei diesen Höhlen, die vorwiegend in Lößgebieten zu finden sind handelt es sich um unterschiedlich verzweigte Systeme von zum Teil sehr engen Schliefröhren und Gängen, die zu Kammern führen, deren Aussehen und Ausgestaltung ebenfalls sehr unterschiedlich ist.

Der Name Erdstall leitet sich von dem Begriff Ort, Stelle ab (vgl. Burgstall als Ort (Hügel) auf dem ein festes Haus, eine Burg errichtet wurde) und hat nichts mit dem Stall für Tiere zu tun

Wir finden Erdställe unter Häusern, Kirchen, im freien Gelände und Kellern. Die Zugänge sind meistens versteckt oder schwer zu erkennen, da sie meistens sehr eng und klein sind. Die Form der Gänge reicht von spitzbogig bis zu flachdeckig und sind bis zu mehreren Metern lang, jedoch wegen ihrer Enge (manchmal nicht mehr als 35 cm hoch) oft anstrengend und auf dem Bauch zu befahren (wie bei Höhlenforschern das Durchkriechen von Höhlen genannt wird).

Die Kammern sind meist tonnenförmig und kaum mehr als 1,30 m hoch, also zum aufrechten Stehen ungeeignet. Oft sind aus dem Löß in den Kammern Sitzbänke herausgearbeitet, und die nur ca. 30 cm hoch sind, also auch eigentlich nicht an einen Gebrauch durch Menschen erinnern.
Auch eine Datierung ist schwierig, allerdings kann aufgrund von Inschriften und Scherbenfunden eine zeitliche Einordnung in das Mittelalter vorgenommen werden.

Das große Rätsel dieser Erdställe ist, daß man bis heute nicht weiß, aus welchem Grund und für welchen Zweck diese errichtet wurden.

Es gab bis zum Jahre 2002 eigentlich keine nennenswerten Funde, die auf eine genaue Datierung und Verwendung schließen lassen. Scherbenfunde sind nur bedingt als Quelle für eine Datierung der Anlagen verwendbar, da die Erdställe zu allen Zeiten aus den verschiedensten Gründen aufgesucht und verwendet wurden (spielende Kinder, etc.) und es wurden aus allen Zeiten Gegenstände in die Anlagen eingebracht. Insoferne sind Funde kein tauglicher Anhaltspunkt.

Ulrich von der Vogelweide sagte: "Durch einen besonderen Glücksfall konnte allerdings die Gruppe unserer Freunde, den bayerischen Erdstallforschern des Arbeitskreises für Erdstallforschung in Roding einen Erdstall, der seit dem Mittelalter verschlossen war und in den bei Feldarbeiten ein Traktor eingebrochen ist, freilegen. Mit Unterstützung von Archäologen konnte durch eine C14-Analyse das Alter eines in einem Bauschacht mit weiterem Verfüllungsmaterial eingelagerten Holzkohlestückes ziemlich genau bestimmt werden. Weitere Reste, die mit dem Ende des Erdstalles in Verbindung stehen dürften, konnten ebenfalls datiert werden. Demnach bestand dieser Erdstall ab ca. dem Jahre 1025 bis ca.1200. Damit ist eine ungefähre zeitliche Einordnung dieses Erdstalles gegeben. Allerdings wäre die bloße Übernahme dieses Alters auf alle Erdställe unzulässig, zumal man annehmen muß, daß die Anlagen in den großen Verbreitungsgebieten Europas über einen größeren Zeitraum errichtet wurden. So wie wir auch regional unterschiedliche Bauformen und Charakteristika finden, so wird es möglicherweise auch sehr unterschiedliche Verbreitungszeiträume gegeben haben. Doch ab hier fehlen wieder alle Quellen und Hinweise".

Dementsprechend uneinig ist die Fachwelt und es stehen sich grundsätzlich zwei Hypothesen für die Errichtung von Erdställen gegenüber:

Die Annahme, daß Erdställe Fluchträume oder Verstecke waren. Argument dafür ist, daß die Zugänge oft gut versteckt lagen und daß Verfolger nur schwer den darin Versteckten folgen hätten können

Die Deutung als Kultstätten – für welche Art von Kult auch immer -. Dafür spricht, daß die Anlagen als Verstecke eigentlich völlig ungeeignet sind, weil sie mehreren Leuten kaum ausreichend Platz bieten und älteren Menschen, die sich im Familienverband befanden, keinen Einstieg erlaubt hätten. Man muß sich oft durch enge Röhren zwängen und mehr oder weniger gelenkig sein, um die Anlagen befahren zu können keinerlei Entsorgungsmöglichkeit für Fäkalien bei längerem Aufenthalt geboten hätten über keine zweiten Ausgänge verfügen, was vor allem im Falle von Brandschatzungen den sicheren Erstickungstod der in den Erdställen Versteckten bedeutet hätte die Versorgung mit Sauerstoff nicht oder nur über sog. Dampflöcher (kleine senkrechte Röhren, die aus den Kammern an die Oberfläche führen) sichergestellt ist. Sogenannte Rundgänge sind ohne praktische Bedeutung Darüber hinaus finden wir oftmals schön ausgearbeitete, oft spitzbogige Nischen, die, mit anderen Ornamenten, ans sakrale Räume erinnern. der Verlauf der engen Röhren ist für die Mitnahme wichtiger Dinge nicht geeignet. Ein Versteck in einem nahegelegenen Wald wäre als Schutz vor herannahenden Feinden wesentlich geeigneter, da dort eine Fluchtmöglichkeit gegeben ist, der Erdstall jedoch kein Entkommen erlaubt (Brandschatzungen) Es wird u.a. auch die Theorie vertreten, daß die Erdställe eine Art Leergräber für die Seelen der Verstorbenen sein könnten.

Der längere Aufenthalt in den Anlagen ist durch abnehmenden Sauerstoffgehalt der Luft und geringen Luftaustausch schwierig. Mündliche Berichte von Leuten, die in den Jahren des 2.Weltkrieges Erdställe als Verstecke benutzten, belegen die Tatsache, daß die Verstecktheorie eher anzuzweifeln ist.

In Zeiten der früheren kriegerischen Ereignisse wäre auch im Falle von Brandschatzungen der Sauerstoff für die im Erdstall Eingeschlossenen rasch verbraucht und es wäre für etwaige Angreifer der Einstieg gar nicht erforderlich gewesen.

Die Archäologie hat Erdställe nie zu einem Forschungsschwerpunkt gemacht, sicher nicht zuletzt auch wegen der bereits von vorne herein kaum zu lösenden Frage nach dem eigentlichen Verwendungszweck.
Die heute v.a. aus Weinkellern zugänglichen Erdstallanlagen sind sicher nur mehr Reste früherer großer Systeme, die nach und nach der Erweiterung der Keller zum Opfer fielen. Ein Rückschluß auf das ursprüngliche Aussehen ist demnach kaum möglich.

Die erste systematische Forschungsarbeit lieferte der Benediktinerpater Lambert Karner (Stift Göttweig, dann Pfarrer in Gösing (NÖ). Er brachte um die Jahrhundertwende ein prunkvoll gestaltetes Buch heraus mit dem Titel "Künstliche Höhlen aus alter Zeit" heraus, in dem er sämtliche ihm damals bekanntgewordenen Erdställe sehr genau beschreibt. Die in diesem Buch enthaltenen und von ihm erarbeiteten Höhlenpläne sind äußerst präzise und für die heutige Forschung wichtigste Quelle.

Andere Heimatforscher widmeten Erdställen auch mehr oder weniger großes Interesse (Kießling etc.), allerdings beschränken sich deren Beschreibungen vorwiegend auf bestimmte Regionen bzw. nur bestimmte Objekte in den Ortschaften ihres Interesses.
Wie überhaupt die systematische Forschung eigentlich - abgesehen von der Arbeit Lambert Karner´s - nicht stattfand.

In neuerer Zeit wurde begonnen, die von Karner beschriebenen Anlagen aufzufinden, eine Bestandsaufnahme vorzunehmen und die Objekte genau zu vermessen und zu beschreiben. Dabei zeigte sich, daß die Erdställe, die Karner beschrieb, zu einem erheblichen Teil nicht mehr existieren, im Zuge der Recherchen konnten jedoch zahlreiche noch unbekannte Erdstall- anlagen gefunden, vermessen und dokumentiert werden. Zudem wurde versucht, die betreffenden Grundstückseigentümer vom historischen Wert der Anlagen zu überzeugen so daß ein Weiterbestand großteils sichergestellt ist.

Federführend in der derzeit stattfindenden Erdstallforschung (vorwiegend Niederösterreich) ist die Höhlenforscherin Edith Bednarik, die um große Detailgenauigkeit beim Erfassen der Anlagen bemüht ist, um eine gründliche Forschung zu ermöglichen.

Wie sich zeigte, besteht in der Bevölkerung weitgehend Unverständnis für die Bedeutung dieser Anlagen und es finden an den allgemein bekannten Anlagen laufend große Zerstörungen statt. Insoferne werden die Arbeiten der Erdstallforschung nicht öffentlich publiziert, um die Folgen des allgemeinen Bekanntwerdens zu vermeiden.

Seit den Arbeiten von Karner ist ein Großteil der von ihm beschriebenen Objekte durch Straßenbau, Hausbau und Umwelteinflüsse, aber auch mutwillige Zerstörung abgekommen.

Um so wichtiger ist es, die noch auffindbaren Anlagen zu dokumentieren und ihren Erhalt sicherzustellen.
In Österreich wird die Erdstallforschung von einigen wenigen Leuten betrieben, in Bayern beschäftigt sich ebenfalls eine kleine Gruppe von Höhlenforschern mit dem Rätsel der Erdställe. Es finden jährlich gemeinsame Exkursionen - entweder in Bayern, oder in Österreich - statt. Leider beschränkt sich die Gruppe der aktiven Erdstallforscher aufgrund der meist sehr engen Anlagen und deren oft sehr schwierigen Erforschung auf sehr wenige Personen.

Eine fundierte und verifizierbare Lösung der Frage der Erdställe konnte bis zum heutigen Tag nicht geliefert werden.
Jene, die sich intensiv mit der Erdstallforschung befassen, lassen seriöserweise eine schlüssige Erklärung offen.
Kurioserweise wird gerade von einigen Autoren ( z.B.. "Mystische Stätten des Waldviertels" ), die mit großer Wahrscheinlichkeit noch nie selbst in einem Erdstall waren, immer wieder eine Lösung des Erdstallrätsels behauptet, allerdings sind diese oft kurios anmutenden Hypothesen frei von jeder archäologisch oder logisch haltbaren Beweisbarkeit. Trotzdem finden derartige Bücher im Zuge des Interesses an mystischen Stätten immer wieder Verbreitung.
Franz Kießling, Über das "Rätsel der Erdställe":
Erdställe (auch Schrazellöcher genannt):
Unterirdische Gang- und Kammersysteme
Daß sich allzu beleibte Personen hiezu nicht eignen, ist begreiflich. Aber auch solche, die Blutandrang zum Kopfe haben oder herzleidend sind, wäre, wegen möglichen Eintrittes eines Schlaganfalles, abzuraten, sich in Höhlen zu begeben, die nur kriechend oder gar schräg nach abwärts liegend zu besichtigen sind. Daher empfiehlt es sich nicht mehr für Personen höheren Alters, sich in diese häufig auch mit stickiger Luft erfüllten Räume zu begeben. Auch Personen, die nur über schwaches Augenlicht verfügen, dürften sich zu genauen wissenschaftlichen Erforschungen nicht eignen, da das Licht von den dunklen Felswänden sozusagen aufgesogen wird. Man kann sich auch nur jeweils langsam vorwärts bewegen, wenn man mit dem Lichte die Wände der Hohlräume gut ableuchten, abmessen und den ganzen Verlauf (mit Hilfe der Magnetnadel) in das Zeichenblatt eintragen will. Da man hiebei zum ansehnlichen Teile auf feuchtem Boden hocken oder gar liegen muß, so eignen sich zu werksamen Erdstallforschungen auch alle jene nicht, die gichtische und ähnliche Leiden haben.





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